Erzgebirgische Weihnachtskrippe eines treuen Buchholzers in der Großstadt.

Ein in einem stillen Provinzstädtchen oder in einem entlegenen Dörfchen geborener, aber in die Großstadt verschlagener Mensch gewöhnt sich mit der Zeit an alles, was die Großstadt aufweist. Er windet sich durch die wilde Jagd der Fahrzeuge. Sein Auge paßt sich dem düstern, toten Grau an, das zu seinen Füßen als Asphalt oder Pflaster-Granit liegt und sich in den das ganze Gesichtsfeld beherrschenden Häuserfassaden vor ihn stellt. Dem Ohr tut das durchdringende Hupen der Autos, das schrille Läuten der Straßenbahnen, das Rasseln der Lastwagen und der ganze wüste Lärm der Straße nicht mehr weh. Und die Nase weicht nicht mehr aus, wenn der Käseladen eine Wolke beizenden Geruchs herausschmeißt oder das Fischgeschäft ihr einen Strahl scharfen Trangeruchs entgegenschleudert.

Der Großstadtmensch hat verzichten gelernt auf den weiten Ausblick in das wohltuende Grün der Natur und das volle Blau der Himmelsglocke darüber, hat sich entwöhnt der köstlichen Ruhe, die im Walde wohnt und über den sonnigen Wiesen und den wogenden Aehrenfeldern liegt, hat auch das Verlangen zurückgedrängt nach dem kräftigen Erdgeruch, der dem aufgebrochenen Acker entströmt, nach dem Waldesboden und dem Duft, den die blumigen Auen und das blühende Korn aussenden.

Die Großstadt modelt um, was von draußen kommt, und zwingt in ihren Bann, was sich ihr nähert.

Aber schaut man näher hin, so sieht man, daß der Umwandlungsprozeß doch nicht bis auf den Kern dringt. Das Tiefinnerste hat die Großstadt mit ihrem lauten, herzlosen, brutalen Zupacken doch nicht ändern können. Und das besonders nicht bei dem zugezogenen Erzgebirgler. Ein Winkelchen im Herzen läßt er sich nicht nehmen, ein Winkelchen, wo die Liebe zu den Stätten der Jugend, wo die treue Anhänglichkeit an Heimatstätten und -gebräuche, wo das Sehnen nach dem schönen, trauten Ehemals ein Heimplätzchen hat.

Wenn die Weihnachtszeit mit ihrem Lichtzauber herankommt und die alte Heimat lockt, dann feiert der Erzgebirgler auch in der Großstadt Einkehr und Heimkehr, dann läßt er sich von der ganzen Pracht des erzgebirgischen Weihnachten umfangen und die innige Verbundenheit mit der alten Heimat wie ein Wonnegefühl durch sein Herz strömen. Er baut sich seine Weihnachtskrippe auf und stellt die Pyramide mit den flackernden Kerzen an den Ehrenplatz in seinem Stübchen. Und er freut sich, wenn verstehende und herzwarme Landsleute und Freunde aus der Heimat kommen und bewegt und in echter Freude mit hineinschauen in die aufgebaute Herrlichkeit.

Weihnachtskrippe des Herrn Richard Schmidt in Dresden.

Eine schöne Krippe, die mich immer wieder entzückt, so oft ich vor ihr stehe, hat Herr Richard Schmidt in Dresden, Webergasse 21, ein geborener Buchholzer.

Die Krippe steht in einem Stübchen für sich, und wer ein Weihestündchen haben will, der setzt sich vor sie hin und läßt sie auf sein Gemüt wirken. Eine herrliche Ruhe kommt über dich, ein Abgelöstsein von dem Weltgetriebe. Nun spricht zu dir eine andere Welt, die nicht Hast und Unruhe kennt, nicht wilde Lust und Raffgier, nicht Neid und Scheelsucht. Hier wohnt heiliger Friede, und weihevolle Andacht kommt über dich.

Die Krippe hat eine eigenartige Anordnung. Mächtige Felsen bilden den Untergrund, auf dem ein tempelartiger Aufbau errichtet ist mit Säulen und gotischem Bogenwerk. Ob dem erbauer, dem Posamentiermeister Gottlob Schmidt in Annaberg, dem Großvater des jetzigen Besitzers, der Gedanke vorgeschwebt hat: Auf diesem Felsen will ich meine Kirche erbauen? Die Felsen sind zerklüftet. Das ernste Grau wird durch flimmernden Erzglanz gemildert. In den Fugen sitzt Moos und Gestrüpp.

Der Tempelbau wird überragt von frischem, harzduftendem Tannenreisig.

Die erste Aufmerksamkeit lenkt sich auf das herrliche Landschaftsbild, auf die weiten Gefilde, die sich vor der Stadt Bethlehem ausbreiten. Von einem Gebirgszug überragt, liegt das stille Städtchen so anheimelnd am Berghang, dem lauten Weltgezänke entrückt. Frieden und Glück muß darin wohnen.

Auf der Weide sind die Schafe, groß und klein, in vollem Wollkleid die einen, schon geschoren die anderen. Ein bewegtes, buntes Bild. hier geben sich die Tiere mit Eifer dem Fressen hin, dort ruhen andere auf dem Rasen, die Lämmer spielen und tollen sich aus. Da kommt hinein in das liebliche Idyll der Bote des Himmels, die neue Mär zu verkünden. In dem weißen Gewand der Engelsreinheit, die Palme tragend, die Frieden anzeigt, die Linke erhoben zum Vater, ruft er den Hirten sein „Fürchtet euch nicht!“ zu und bringt ihnen das Evangelium.

Und wie wirkt die hohe, herrliche Gottesbotschaft auf die Hirten? Der eine drückt seinen Stab fest an den Leib und erhebt seinen Arm, als wollte er fragen: Was geht hier vor? Ist das Wahrheit, was ich hier schaue, oder Blendwerk?

Der andere Hirt ist beim Schlafen von der Engelsbotschaft überrascht worden, er hat sich noch nicht aufrichten können, ein Bein hält er gestreckt am Boden, das andere hat er halb angezogen. Den Kopf dreht er dem Engel zu, den einen Arm reckt er weit ab wie zur Abwehr. Auch ein dritter Hirt hat sich noch nicht vom Boden erheben können, den Kopf hat er ganz zurückgeworfen, der Arm macht eine einladende Bewegung. Wiewohl die Engelsworte süß und tröstend klingen, mischen sich doch in den Herzen der Hirten furcht und Scheu mit den Gefühlen aufleuchtender Freude, aber die Bangigkeit und die Lähmung wird sich in Jubel wandeln, wenn sie hineilen, das „Heil der Welt“ anzubeten.

Haben wir uns an dem schönen Bild des gesegneten Landes geweidet, gehen unsere Blicke hinab in die Felsengruppe.

Die gewaltige Felsenmasse zeigt zu beiden Seiten Durchbrüche und in der Mitte eine höhlenartige Erweiterung, in der die heilige Familie Unterschlupf gefunden hat.

Diese mittlere Felsengrotte ist ein bewohnter Raum gewesen, Wandsäulen und Deckengewölbe sind noch sichtbar, jetzt ist das ruinenhafte Gelaß als Stall verwendet. Von oben herein dringt die ganze Lichtfülle der Klarheit des Herrn und macht den sonst düsteren Stall zu einem Vorraum des Himmels. Der „Heilige Christ“ ist geboren. Auf niederem, mit weißem Tuche überdecktem Heu- und Strohhäuflein ruht das neugeborene Kindlein. Maria, die Gebenedeiete, schaut mit der ganzen Gottesmutterseligkeit auf den Gottessohn. Gewiß denkt sie an Gabriel, den Engel der Verkündigung, und bewegt seine holdseligen Worte in ihrem Herzen. Joseph sitzt dabei und kann das Wunder nicht fassen und schließt seine Hände zum Gebet.

Um den Messias hat sich die Hirtenschar versammelt. Sie sind herbeigeeilt, das Wunder zu schauen. In ihrer Einfalt, in ihrem starken Glauben sind sie die ersten, die zur Anbetung niederfallen.

Der eine Hirt hat sich auf beide nackte Beine niedergelassen, die Ledertasche ist sein Kniekissen. Er betet und richtet Herz und Augen voll Inbrunst auf das Kind.

Der andre Hirt, ein Alter, kahlköpfig, gebeugt dastehend, auf den Stab gestützt, hebt die eine Hand, als spräche er, der schon vieles erlebt: Nun habe ich das Köstlichste gesehen, wie bin ich selig zu preisen.

Neben ihm kniet auf einem Bein ein andrer Hirt. In Demut beugt er sich vor der Hoheit des Welterlösers, und wie in prophetischer Vorahnung legt er die Arme gekreuzt über die Brust.

Und noch ein alter, wetterharter Schafhüter ist hinzugetreten. Ein langer Bart legt sich auf die Brust herab, und langwallendes, unverschnittenes Haar fällt auf den Mantelkragen. Ein weiter, schleppender Mantel umhüllt den gebeugten Anbeter.

In dem Abteil zur Linken sehen wir die heiligen drei Könige. Sie beschauen den neuen, wunderbaren Stern am Firmament und sind voll Staunens und ehrfürchtiger Schauer. Aufwallende Begeisterung über das große angekündigte Ereignis leuchtet aus ihrem Auge.

Der Schwarze trägt eine reiche goldene Krone. Ein roter Mantel mit Hermelinbesatz legt sich um die Schultern, ein grünes Unterkleid wird durch einen breiten goldenen Gürtel gehalten.

Der bärtige Alte mit dem Stab hat einen langen, dunkelgrünen Mantel, den goldene Fransen zieren.

Der Dritte der Weisen, der in Verzückung den einen Arm erhebt, hat über sein grünes Kleid einen breiten schwarzen samtenen Umhang gelegt, der mit prächtigem leuchtenden Fransenbehang versehen ist und den eine breite kostbare Agraffe auf der rechten Schulter zusammenhält.

Die drei Weisen sind der allgemeinen Volksanschauung entsprechend als Könige, als Herrscher über weltliche Reiche, nicht als Große im Reich der Wissenschaft, hier der Astronomie und Astrologie, aufgefaßt. Reichtum und Pracht nahen sich huldigend und anbetend der in Armut und Niedrigkeit wohnenden Gottheit. Auch dem Gedanken ist die Gestalt und das Aussehen der drei Könige angepaßt, daß sie als Vertreter der Semiten, der Hamiten und der Japhetiten, also der gesamten Menschheit, auftreten.

Die drei Könige stehen in einer schönen morgenländischen Landschaft. Palmen ragen auf, und im Dunst der Ferne verlieren sich die Konturen der Berge.

Auf der andern Seite finden wir die heilige Familie auf der Flucht. Nach einer ermüdenden Nachtwanderung unter fortwährender Angst vor Verfolgern hält die Familie im Frühsonnenschein die erste Rast. An den fressenden Esel lehnt sich der müde Joseph, die Hände hat er über dem Leib zusammengelegt. Sorge spricht noch aus seinen augen, Sorge, die anhalten wird, bis er seine Teuren geborgen weiß. Aber daneben steht schon ein Gefühl der Beruhigung auf und teilt sich der Maria mit, die dem Kinde den Trunk gegeben und es auf dem Schoße herzt. Auf ihrem seitlich geneigten Haupt mit dem gescheitelten Haar liegt der ganze Abglanz des Mutterglückes. Joseph ist dargestellt als ein älterer Mann, das Haar ist aus der Stirn zurückgewichen, den Mantel trägt er gerollt über einer Schulter, die Schuhe sind mit Pelz besetzt. Ein gemauerter Brunnen, die zahlreichen Palmen, endlich eine in der Ferne auftauchende Pyramide deuten an, daß die Wüste hinter ihnen liegt und menschliche Ansiedelungen bald erreicht sein werden. Ein Hündlein hat sich als treuer Begleiter angeschlossen.

Wir erleben alles Schöne und Beglückende mit, wenn wir diese lebensvollen, ausdrucksreichen Figuren anschauen. Der Schnitzer – es war der Seidenwickler Major in Annaberg – hat ihnen eine Seele eingehaucht. Kein Schema hat er gehabt. Jedem hat er eine Eigenart gegeben , jeder zeigt im Gesichtsausdruck, in Hand-, ja in Fingerhaltung, sein Sonderwesen. Der Schnitzer war ein Künstler, der mit innigster Herzensanteilnahme seine Arbeit getan.

Das schöne Panorama, das vor etwa 45 Jahren entstanden ist und ein älteres ersetzt hat, hat der seinerzeit einen Ruf als Szeneriemaler genießende Maler Sonntag in Annaberg geschaffen.

E. M.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 49 – Sonntag, den 18. Dezember 1927, S. 1