Erzgebirgische Dorfspitznamen (2)

Von Wilhelm Günther, Leipzig.

(Mit Genehmigung des Verfassers aus früheren Heimatschutzblättern.)

(Fortsetzung.)

Ferner sind auch merkwürdige Angewohnheiten und Reden oft Ursache dazu gewesen. Der Bügelhuchkarl wurde so genannt, weil er bei jeder Gelegenheit, wo er fidele und lustige Gesellschaft traf, sagte: „Do gieht’s doch bügelhuch har“, und der Kaseiedeward führte seinen Namen deswegen, weil seine Mutter bei jedem dritten Worte in der Rede „Ka sei“ sagte.

Bei einer Reihe von Spitznamen hat man den üblichen Familiennamen mit dem Rufnamen verbunden in der Regel so, daß dieser angehängt wird. Ich denke da an Götzalbin, Heßedeward, Maierpaul, Frenzelhermann, Lindnerkarl, Sachsheibel, Güntheralbert, Granertfritz, Rittergette, Lahlbruno, Wolfkarl, Weißpauline, Grunertalbin, Rammwilhelm, Bargeltmarie, Mehnertwilhelm, Knauerkarl, Böhmheidel, Pollerrobert, Stollgettel, Melzerkarl usw.

Die allermeisten dieser Namen jedoch sind entstanden durch Zusammensetzung von Rufnamen, oftmals in sehr verkürzter, mitunter schwer erkenntlicher, verstümmelter Form. So redet der Volkskund von einem Anerschlob, Hansadern, Toffeladern, Stolladern, Görgnlob, Seffenlob, Seffenhalm, Lineminel, Liesenhans, Dämmerhans, Lieselaugust, Hansgörg, Gregeranersch, Gotthalfhans, Danelgettel, Filpmichel, Beniglieb, Durnfried, Grußenchristlob, Toffellieb, Hansmichel, Mertenlieb, Frölfritz, Hansröslieb, Gojanelob, Karlieb usw. Besonders hervorgehoben sei hier, daß jeder dieser Namen nicht etwa, wie man im ersten Augenblick denken könnte, eine einzige gegenwärtig im Dorfe lebende Person, sondern eine ganze weitverzweigte Familie ist; im weitesten Sinne ist er also weiter nichts, als der volksmundartliche Geschlechtsname. Der Stammvater muß ehemals, wer weiß, vor wieviel Jahren, so geheißen haben. Die Namen werden weitergebildet dadurch, daß man den Rufnamen der gegenwärtig in Frage kommenden Familienglieder anhängt. Das ergibt dann der obigen Reihe entsprechend: Anerschlobgustav, Hansadernalbin, Toffeladernrobert, Stolladernkarl, Görgnlobminel, Seffenloboswald, Seffenhalmkarl, Lineminepaul, Liesenhansheinrich, Dämmerhansrobert, Hansgörgmarie, Gregeranerschgustav, Gotthalfhansaugustel, Danelgettelemil, Karliebnandel usw.

Dieses zuletzt genannte Karliebnandel also ist der Ferdinand vom alten Karlieb: dieser kann Ferdinands Vater, Groß- und Urgroßvater oder sonst einer aus der Reihe von Ferdinands Ahnen gewesen sein; ähnlich bildet man bei dessen Brüdern, Schwestern, Kindern und Enkeln Namen wie Karlieblobel, -heibel, -christel, -gettel usw. Karlieb ist Geschlechtsname: die ganze gegenwärtige Sippe ist damit gemeint, und er spielt bei der Bildung der Spitznamen eine große Rolle, indem man ihn, wie die Beispiele andeuten, vor die Rufnamen setzt.

Im Dorfe befinden sich gegenwärtig drei Familien mit dem Namen Schuster nähmlich Schusterlob, Schusterfritz und Schusterhans. Zwischen den ersten beiden besteht eine Verwandtschaft insofern, als die Urgroßväter Brüder, die Großväter Vettern waren: die letzere Familie jedoch hat, wie es scheint, keine verwandtschaftlichen Beziehungen; eine Abstammung vom alten Schuster muß aber auch früher einmal stattgefunden haben. Genau so steht es mit den Familien Danelaugust, Danellieb, Danelnand und Danelgettel. Es sind dies heutzutage vier nebeneinander herlaufende, gleichnamige Familien, deren Verwandtschaftsgrad nur schwer zu erkennen ist, und doch müssen sie, wie der Stammname andeutet, einen gemeinsamen Ursprung gehabt haben.

Anders liegen die Verhältnisse bei den Namen Stolladern, Hansadern, Toffeladern und Christophadern, ebenso bei Dämmer-, Gotthalf-, Wolf- und Liesenhans, ferner bei Seffen-, Görgn-, Anersch-, Grußenchrist- und Adernlob, oder bei Filp-, Borten- und Hansmichel. Hier ist der an zweiter Stelle stehende Stammname gleich, und auf den ersten Blick ist man geneigt, diesen Adern, Hans, Lob und Michel als Sippenname zu betrachten; ebenso vermutet man ohne weiteres in den davorstehenden Bestimmungs-Namen die Rufnamen der einzelnen Familienglieder. Weit gefehlt. Die Praxis geht hier den entgegengesetzten Weg als die Theorie. Zwischen den Geschlechtern besteht in der Tat auch nicht die geringste Verwandtschaft; sie bestehen nebeneinander, gehen sich aber, wie man zu sagen pflegt, einander nichts an.

Nun gibt es aber auch außer diesen zusammengesetzten Stammnamen wie Hansgörg, Liesenhans, Schusterfritz usw. im Dorfe auch noch einfache wie Line, Liesel, Michel, Gosef, Hansen, Hansel, Dietel, Mine, Manel, Benig, Toffel, Danel usw. Sie bezeichnen ebenso wie die obigen nicht eine einzelne Person, sondern auch ein ganzes Geschlecht und sind allem Anscheine nach viel jüngeren Datums, zum Teil noch in den letzten Generationen entstanden.

Wann diese Stammnamen entstanden sind, darüber herrscht in den meisten Fällen Ungewißheit.

Eine weitere Frage, die bei der Behandlung des Stoffes der Erörterung bedarf, ist die: Wie geht nun die gegenwärtige Bildung der Spitznamen vor sich? Des besseren Verständnisses wegen dienen wir gleich mit einem Beispiele. Angenommen, der Hansgörglieb hat die Tischerrickengette geheiratet. Dieser Ehe ist zuerst der Sohn Karl entsprungen. So lange dieser als Kind lediglich Zögling und Schützling der Eltern war und seine Tage, abgeschlossen von kindlicher Gesellschaft, in der Stube, im engen Kreise der Familie verbrachte, war er nur der von allen genannte Karl. Dann aber kam der Junge auf die Straße, auf dem Spielplatz unter seinesgleichen. Von seinen Kameraden wurde er Karl gerufen, so lange er diesen Namen unter ihnen allein führte und keine Verwechslung mit einem andern Mitspieler namens Karl stattfinden konnte. Eine Wendung kam jedoch in die Sache, sobald sich noch ein anderer gleichen Namens, also noch ein Karl, hinzugesellte. Die Spielgefährten waren da der genaueren Bezeichnung wegen gezwungen, den ersten den Karl vom Hansgörglieb, den andern den Karl vom Liesenhanslob zu rufen. Der Kindermund machte es kurz und sagte: Hansgörgliebkarl und Liesenhanslobkarl. Diese neue Benennung ist der gegebene Spitzname. Der Junge trägt ihn mit nach Hause in die Familie, und die Eltern und Geschwister, Onkel und Tanten müssen sich wohl oder übel daran gewöhnen. In seiner Alltäglichkeit wird er dann auch nicht im geringsten als etwas Beleidigendes empfunden.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 43 – Sonntag, den 24. Oktober 1926, S. 3