Von Dr. M—r.
Die Stadt Buchholz war noch nicht gegründet worden. Auch da, wo sich heute Annaberg erhebt, war noch alles wüst und wild. Man erblickte nichts als eine „dicke, finstere Wald-Kette“ und ein „Gebüsche, dafür einem gegrauselt hat, wenn man es angesehen“, so berichtet uns ein alter Geschichtsschreiber. Es war „ein Ort, da nichts als Wald und Wacken, Felß und Holtz war, da wilde Thiere wohnten, daß die Reisenden, wenn sie über diese Gebürge gehen wollten, sich hauffenweise zusammenhalten mußten, damit sie sicher vor solchen Thieren, wie auch denen Räubern, darüber kommen kunnten“. Trotzdem hausten schon Menschen in dieser unwirtlichen Gegend. Es waren Bergleute, fremdes Volk, rauh und abgehärtet, bereit, den Kampf mit der wilden Natur aufzunehmen. Ihnen war die Kunde geworden, daß hier im Schoß der harten Felsen Erze schlummerten. So waren sie herangezogen in mühseliger Wanderung, ihr Glück zu versuchen. Sie führten ein gar erbärmliches Leben, lagen „unter denen Bäumen, unter freyem Himmel“. „Etliche (hatten) sich kleine Hütten oder Höhlen vom Laube gemacht, darinnen sie gewohnt und geschlafen.“ Und doch waren sie nicht ganz von Gott und aller Welt verlassen. Man hatte ihnen „auf dem Schottenberge“, so wird uns erzählt, „hinter dem Felsen, linker Hand, wo jetzo Acker-Feld ist“, eine Kapelle errichtet, „in welcher der Kaplan zu Schletta, zu gewissen Zeiten, Messe gelesen“. „Ohnfehlbar ist diese Capelle“, so berichtet der Chronist, „vor die Bergleute in hiesiger Gegend, da noch keine Stadt, weder St. Annaberg, noch Buchholz, hier war. Gebauet gewesen, daß sie in derselben doch einigermaßen ihren Gottesdienst haben kunnten.“ Wir wissen nicht, wer diese Bergkapelle erbaut hat. Wahrscheinlich waren aber die Erbauer Bürger der Stadt Schlettau gewesen, auf deren Grund und Boden die Kapelle stand; weist doch der Chronist ausdrücklich darauf hin, daß sie sich auf dem „Schlettauer“ Berge befand. Wir wissen auch nicht, wie die Kapelle ausgesehen haben mag. Aber wir können uns denken, daß sie nur klein und schmucklos gewesen sein wird. Und doch genügte sie den armen Bergleuten, um in ihr von Zeit zu Zeit ihre Seele zu Gott zu erheben und sich aus dem Munde des Priesters, beim Anblick des Kreuzes, Trost und Hoffnung für ihr mühseliges Wirken und Schaffen zu holen. Wenn sie in dieser Kapelle voller Andacht saßen, dann fühlten sich diese Menschen, die sonst getrennt und zerstreut dem Gestein seine Schätze abrangen, als eine Glaubensgemeinschaft, als eine Schicksalsgemeinschaft. Sie alle mußten Entbehrung und Kummer ertragen, und sie alle träumten von einem großen Glücksfund. Dann würde ihre Not, die sie in dieses unwirtliche Gebirge hier getrieben hatten ein Ende haben. Froh und hochgemut, mit stolzen Zukunftsplänen, würden sie dann zu den Ihrigen zurückkehren, die schon so lange auf sie warteten, und ein neues, schönes Leben werde sich ihnen dann auftun. — — —
Von dem Chronisten erfahren wir, daß diese Bergkapelle nur bis zum Jahre 1498 auf dem Schottenberge, oder wie er ihn auch nennt, Schlettauer Berge, gestanden hat. Er schreibt darüber in seinem altertümlichen Deutsch folgendes: „Nach der Zeit, als die Stadt St. Annen angieng, ist solche Berg-Capelle von diesem Schottenberge anno 1498 bey die Stadt und zwar da, wo jetzo der Hospital stehet, versetzet worden, so lange, biß man anno 1502 die hiesige Berg-Capelle am Marckte zu bauen anfing, da dann dieser Gottesdienst solches Kirchleins in die jetzige Berg-Capelle verleget wurde. Denn so finde ich in einem alten Chroniko: 1498 wurde die Capelle gebaut, da wo jetzo das Hospital steht, zuvor stunde die Capelle, da man nach der Schletta gehet“. Und weiter bemerkt der Chronist, daß sie die „erste“ Bergkapelle in hiesiger Gegend gewesen ist. So ist die Schlettauer Bergkapelle verschwunden, wie so vieles andere im Strudel der Zeit untergegangen ist. Sie ist vergessen, wie so manches andere aus unserem Gedächtnis gelöscht ist. Wer heute über die Stelle geht, wo sie einst gestanden, wer denkt daran, daß hier vor vielen Jahrhunderten inmitten dunkler Tannen, während der Nacht umkreist von wildem Getier, ein Kirchlein sein helles Glöckchen ertönen ließ. Und doch möchte man sich dessen erinnern, ist’s doch ein Stück aus der Geschichte unserer lieben Heimat, ein Zeugnis für den Geist der Menschen, die vor uns gelebt haben. „Ora et labora: Bete und arbeite“, dies war ihr Leitspruch. Und es dünkt mich, als ob wir „erleuchteten“ Kulturmenschen des zwanzigsten Jahrhunderts uns an solcher Lebensanschauung recht wohl ein Beispiel nehmen könnten.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 21 – Sonntag, den 20. Mai 1928, S. 2