Vom Segen der Arbeit bei der Schnitzkunst im Erzgebirge

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 2 – Sonntag, den 10. Januar 1937, S. 2 – 3.

Unser Bild auf der 3. Seite dieser Heimatblätter spricht zu uns vom Segen der Arbeit und wenn wir den jungen Meister bei seiner Schnitzkunst bewundern, dann müssen wir wohl auch an unsere erzgebirgischen Schnitzer denken, die in gleicher Weise das Schnitzmesser zu führen wissen. Der Segen dieser Arbeit aber wird uns besonders bewußt, wenn wir jetzt nach dem Christfest einmal Ausschau halten nach den Christgeburten und Bergwerken, die überall in unseren erzgebirgischen Ortschaften jetzt aufgestellt sind. Da fühlen wir es auf einmal, es gibt wohl keinen Flecken in unserem großen, deutschen Vaterlande, wo das Weihnachtsfest so wahrhaft deutsch gefeiert wird, als im Erzgebirge. Zur deutschen Feier eines Festes gehört aber vor allem, daß sie gemütvoll sei, denn das Gemüt ist gewissermaßen die Seele des deutschen Volkscharakters; und daß dem so ist, dafür können wir Gott nicht genug danken. Das Gemüt ist´s, welches sich draußen, fern vom Vaterlande in so wundervoller Weise offenbart, sodaß auch hier der Deutsche von den andern Nationen äußerst wohltuend absticht; das Gemüt ist´s, welches aus des Deutschen Brust den unerschöpflichen Liederquell frisch und frei hervorsprudeln läßt und welches endlich dem deutschen Volkscharakter jene zum Teil mit Derbheit gemischte Schlichtheit und Treuherzigkeit, kurz, jene Biederkeit verleiht, die den Aufenthalt in deutschen Landen so „gemütlich“ macht und so eine der schönsten Eigenschaften dieses Volkes offenbart. Alle diese Eigenschaften, so lesen wir in einem ganz alten Bericht, dessen Ausführungen wir folgen lassen, finden sich in ausgeprägtester Weise im Charakter des Erzgebirgers: er ist fromm, er hat ein offenes Herz für die Schönheiten seiner Heimat, er ist sangeslustig und seine Urwüchsigkeit und Geradheit läßt ihn nur ausnahmsweise als ein wenig derb erscheinen. Es versteht sich von selbst, daß in Gegenden, deren Abgeschlossenheit eine Vermischung mit fremdartigen Elementen erschwert, die einzelnen Züge dieses Charakters sich reiner erhalten und schärfer hervortreten als dort, wo der stete Verkehr eine Art fluktuierender Bevölkerung erzeugt und die ursprüngliche Eigenart es Bewohners mehr und mehr schwinden läßt.

Schnitzen

Will man aber den Charakter eines Volkes so recht erkennen, so besuche man seine Feste; insonderheit gilt dies von den Bewohnern des Erzgebirges, freilich gelangt ein Charakterzug nicht immer so zum Ausdrucke, wie es wünschenswert ist, um ein allseitiges, vollständiges Bild von dieses Völkchen Leben und Treiben zu gewinnen: Wir meinen die tiefe, nicht selten an Aberglauben streifende Frömmigkeit.

Warum nun gerade die Weihnachtsfeier alle Eigenarten des erzgebirgischen Volkscharakters schrankenlos sich entfalten läßt, liegt in der Natur dieses Festes, welches ein Kinderfest ist wie kein anderes, ein Fest der Kinder, des Volks und der Völker. Gibt es ein historisches Ereignis, welches dem Gemüte mehr Nahrung böte als die in magischen Zauber, die in märchenhafte Poesie gehüllte Geburtsgeschichte des Heilands, dessen gnadenreiche Erscheinung zuerst armen Hirten auf Bethlehems nachtbedeckten Triften kund ward? Kann irgend eine Tatsache die Phantasie mehr anregen als die Erzählung von denen himmlischen Heerscharen, die jubelnd Anteil nahmen an der Menschwerdung Gottes und welche die innige Verbrüderung von Himmel und Erde der harrenden Menschheit kündeten mit ihrem köstlichen „Friede auf Erden“? So ward die Weihnachtszeit des Erzgebirgers Fest- und Weihezeit. Schon die wenigen Wochen vor dem Feste wissen von einem überaus regen Leben und Treiben daheim in Haus und Hütt wie draußen auf Gassen und Straßen zu erzählen. Daheim wird geschnitzt, gedreht, gesägt, gehämmert, gepappt, geleimt, gemalt und wie alle die großen und kleinen nötigen und unnötigen Bemühungen heißen, und jedes Familienmitglied nimmt, soweit nicht ernstere Berufsgeschäfte davon abhalten, daran teil, um möglichst zur Verherrlichung des schönen Festes beizutragen.

Willst Du, freundlicher Leser, einen Einblick gewinnen in diese Zurüstungen, so betritt mit mir das Stübchen eines schlichten Bergmanns. Ihm gilt es denn vor allem, den geschnitzten, großen Engel, der am Feste mit seinen zahlreichen Dillen das bescheidene Stübchen weihnachtshell erleuchten soll, neu aufzuputzen; denn sein so rosig dreinschauendes Antlitz ist rußgeschwärzt, das Flittergold seiner Flügel verwischt, und, vielleicht leidet er gar an dem oder jenem körperlichen Gebrechen. Aber auch der stattliche, gleichfalls holzgeschnitzte „Bergmann“, gewöhnlich ein Steiger, vielleicht des Vaters wohlgetroffenes Conterfei, bedarf einer gründlichen Erneuerung: in seine Rechte bekommt er ein buntbemaltes Licht; sein Kittel, das Lederzeug, seine ganze Montur, wird standesgemäß hergestellt und der Fels, auf dem er steht, reich mit gehämmertem, silberblinkendem Bleiglanz bestreut. Endlich geht´s auch an die Instandsetzung des Drehleuchters, der „Peremett“, welcher der Familie höchster Stolz ist; die oben horizontal befestigten Windmühlenflügel, welche vermöge der Lichtwärme die an der Achse befestigten Scheiben in kreisförmige Bewegung versetzen, müssen durch neue ersetzt werden; auf den Scheiben selbst, wo es sonst von allerlei zahmem und wildem Getier wimmelt, hat der Zeiten Flug arge Verwüstungen angerichtet: darum muß dieses in Wahrheit verlorene „Paradies“ – so heißt ein derartiger Tiergarten – aufs neue eingerichtet werden, um am heiligen Feste selbst durch den friedlichen Verkehr zahmer und wilder Tiere die Weihnachtsbotschaft: Friede auf Erden! predigen zu können. Zu all diesen wichtigen Arbeiten erklingen die alten und doch ewig neuen, nie ausgesungenen Weihnachtslieder, bei deren Weisen sich auch des Ärmsten eine festliche Stimmung bemächtigt.

Das zeigt sich besonders, wenn wir unsere Schritte hinaus auf die Straße lenken. Es ist bitter kalt, die Luft weht schneiden und ist mit feinen Eiskristallen erfüllt; der Schnee knarrt unter unsern Füßen. Doch horch! Welch‘ lieblicher Gesang tönt an unser Ohr? – Kinder sind´s, welche gruppenweise von Haus zu Haus ziehen und gegen eine kleine Gabe, einen erwärmenden Trunk oder ein Stück „Stollen“ ihre Lieder singen; zuweilen zeigt sich auch ein Trupp Erwachsener, zumeist Bergleute, denen es weniger um den geringen Verdienst als um das Vergnügen zu tun ist: denn für viele, besonders für arme Kinder, besteht die größte Weihnachtsfreude in der Erlaubnis, singend von Haus zu Haus ziehen zu dürfen. Die Lieder selbst, vielfach im Dialekte gedichtet und echt volkstümlich geartet, gewähren einen tiefen, interessanten Einblick in die Weihnachtssitten und Gebräuche. Das bekannteste unter ihnen, welches eine Unzahl Strophen enthält, beginnt:

„Heit is dr heilge Ohmd, ihr Leit‘,
Kommt rei, mr gieß´n Blei,
Un saht´s dr Hanne Ruse aa,
Die muß beizeitn rei!“

Es ist nämlich eine im Erzgebirge weitverbreitete Sitte, an den drei heiligen Abenden (24. und 31. Dezember und 5. Januar) der Weihnachtszeit Blei zu gießen; die Gestalt, welches das durch den Ring eines ererbten Schlüssels getröpfelte flüssige Metall zeigt, gilt als bedeutungsvoll für die Zukunft. Überhaupt ist der Erzgebirger am eigentlichen heiligen Abend (24. Dezember) besonders abergläubisch. Die Natur draußen ist belebt von allerlei Geistern und überirdischen Mächten, die heute ihres Bannes ledig sind, und alle die geheimnisvollen Gewalten altgermanischer und slavischer Naturreligion werden wach. Die Vorgänge im Stübchen wie draußen im Freien, so z. B. das Geräusch des über dem Herdfeuer kochenden Wassers, werden belauscht und ahnungsvoll gedeutet; am Wasserhause steht ein schwarzer Mann, der jedem, welcher nicht „recht fein“ beten kann, den Zutritt wehrt; alles Wasser in Quell und Fluß ist in der heiligen Nacht in edlen Wein verwandelt – kurz, nach volkstümlichen Vorstellung des Erzgebirgers, in der sich Christentum mit den Überbleibseln uralter Heidenreligion vermischt, gehört diese alljährlich wiederkehrende Zeit zu denen, da selbst die geheimnisvollsten Mächte, die im Verborgenen sonst zu schaffen pflogen, frei waltend hervortreten. Betreten wir mit der muntern Kinderschar ein erleuchtetes Zimmer, so sehen wir drin eine sogenannte „Krippe“ aufgestellt; man versteht darunter die Darstellungen der Geburts- und Kindheitsgeschichte, oder auch des ganzen Lebens Jesu, meist von einfachen Handwerksleuten verfertigt. Größere und kunstvollere Gebilde werden auch gegen ein geringes Entgelt der öffentlichen Besichtigung dargeboten. Den Glanz- und Höhepunkt des ganzen Festes bilden aber die sogenannten „Metten“, jene kirchliche Feier in stiller Morgenfrühe des ersten Feiertags. Schon lange vor dem Beginn derselben, während Stadt und Land noch in tiefem Schlummer liegt, ertönt vom hohen Turm herab das sogenannte „Turmglückauf!“ („Der Heiland ist erschienen, das große Licht der Welt, Glückauf!“) und das „Ehre sei Gott in der Höhe!“ mit Instrumentalbegleitung oder vom Kirchenchor gesungen, gleichsam der feierliche Weckruf und Morgengruß für Jung und Alt. Später beginnt der Mettengottesdienst. Die Kirche ist in ihren weiten Räumen durch Kerzenschein märchenhaft erleuchtet: Sitzreihen, Emporbrüstungen, Altar, Kanzel – alles ist mit Lichtern bestellt und scheint in einem Lichtermeer zu schwimmen, und das trunkene Auge vermag sich nicht satt zu sehen an dem bezaubernden Glanze. Auf den Emporen sitzen die Bergleute mit den brennenden Grubenblenden auf der Brust, Weihrauchdüfte, ein Überbleibsel aus katholischer Zeit, erfüllen die Luft und verdrängen den Kerzengeruch. Die Menge sitzt und steht Kopf an Kopf gedrängt, wo nur immer ein Plätzchen sich befand. Den Mittelpunkt der Feier bildet nicht die Predigt, sondern die „Weissagung“: „Höret an von Christo die Weissagung usw., der in Musik gesetzte Text von Jer. 9, 2 – 7, gesungen von einem Chorknaben, welcher ein 12döchtiges Licht in seiner Rechten haltend und in alter Zeit auch mit weißem Gewande, goldenen Flügeln und goldener Krone geschmückt, den die Geburt Christi verkündenden Engel darstellen soll. Wir haben nicht den Beruf, uns über Wert und Unwert der Musik oder überhaupt dieser Sitte hier zu äußern: so viel steht indes fest, daß der Erzgebirger mit einer Zähigkeit an seinen Christmetten hängt, daß alle Versuche, sie abzuschaffen, im voraus als vergeblich bezeichnet werden müssen. Nach beendetem Gottesdienst geht´s heim: denn nun erst hat das „Bornkinnel“ (geborenes Kindlein) seine Gaben ausgebreitet für Jung und Alt, und die Hütte des Geringen wie das Prunkgemach des Reichen strahlt im herrlichsten Lichterglanze, während Räucherkerzchen dafür sorgen, daß es nach Weihnachten reucht.“ Was nirgends fehlen darf, das ist der traute Tannenbaum. O, ich weiß es ja: wenn die Armut in der zerfallenden, dem Wind und Wetter preisgegeben Hütte nichts hat, womit sie die hungernden und frierenden Kleinen daheim erfreuen könnte, daß auch aus ihren tränenfeuchten Augen ein heller Freudenschimmer leuchte, dann bist du es, immergrüne Tanne, die du die Hoffnung auch in des Ärmsten Herzen fortglimmen lässest oder auch wehmütig ihre Blicke zurücklenkst in jene seligen Tage, da noch ein sorgender Vater, eine liebende Mutter den Weihnachtstisch deckten!

Aber das eben ist des Erzgebirgers Art, die ihm Gott immerdar erhalten möge, auch unter den bescheidensten und dürftigsten Verhältnissen zufrieden und glücklich zu sein; er trägt seinen Schatz in sich: ein biederes, frommes Herz, welches ihn beim Mangel alles äußeren Glückes reich sein läßt in dem Segen seiner Arbeit und in der Tiefe seines Gemütes.

Unsere Leser werden die Ausführungen gewiß mit Interesse gelesen haben und im Stillen nun selbst Vergleiche angestellt haben mit den Gepflogenheiten in unserer Zeit. Vieles ist geblieben von dem alten Brauchtum und wir müssen dem Autor recht geben, der seinen Bericht über das Erzgebirge im Jahre 1884 geschrieben hat. Wir Erzgebirgler halten fest an unserer Art, an unserm Brauchtum und an unseren Sitten!