Die alte Buchholzer Marktstraße.

Bild 1: Die Geschäftshäuser der „Obererzgebirgischen Zeitung“ in Buchholz.

Wir fahren in der Betrachtung der Bilder von Alt-Buchholz fort. Nachdem wir von dem sogen. alten „Engpaß“ die Seite beschrieben hatten, wo heute das Postamt steht, wenden wir uns einmal dorthin, wo sich heute der große, schmucke Bau des Verlagshauses der „Obererzgebirgischen Zeitung“, das „Gutenberghaus“, mit der Gutenbergbüste und dem farbigen Buchdrucker-Wappen geziert, erhebt. Wie unser nebenstehendes Bild zeigt, standen hier neben dem Schluttig-Haus, dessen Giebel rechts auf dem Bilde sichtbar ist, das „Restaurant zur Post“, und daran schloß sich, nur durch einen Holzgiebel getrennt, das Merkel-Haus, durch einen Garten getrennt dann links das alte Hollstein-Haus und daneben das Fritz Langer-Haus. Die beiden letzten Häuser erblickt man auch auf dem oberen Bilde.

Das „Restaurant zur Post“ erhielt seinen Namen nach 1902, als der Postneubau erstanden, von seinem damaligen Besitzer Max Pursch. Vorher war es von den Zeiten nach dem Kriege 1870/71 her ein Kaffeeschank und ein Laden mit Kürschnerei, das der Vater des vorgenannten Max Pursch, Daniel Hermann Pursch, so gut es nur eben ging, schlecht und recht betrieb. Es sollen da immerhin zu den Zeiten, als der „Engpaß“ noch vorhanden, recht viel Menschen aus- und eingegangen sein.

Bild 2: Das Merkelhaus und das Restaurant zur Post.
Auf diesem Gelände steht heute das neue Geschäftshaus der „O. Z.“.

Wenn die Verlegerfrauen von auswärts ihre Gorl- und Fransenarbeiten in den Buchholzer Geschäften ablieferten, da stellten sie hier imme ihre Körbe und Pakete ein, um sich bei einer Tasse Kaffee zu stärken. Auch die Butterfrauen hatten hier ihr Standquartier, wie auch Botenmänner usw. Schließlich hatte der Kaffeeschank auch viel Zuspruch von seiten der zahlreichen Arbeiterschaft, die die zunehmende Industrie seinerzeit nach Buchholz brachte. Hier beim „Pursch-Hermann“ wurde zum Mittagsbrot gar oft der warme, alltäglich gewordene Trank eingenommen. Da wurden nun stets die Neuigkeiten ausgetauscht und manches aus dem öffentlichen und lokalen Leben bekrittelt. Der Purschsche Kaffeeschank war weitum bekannt und allenthalben beliebt. Besonders schätzte man dieses Haus auch, weil aus ihm immer die nötige Hilfe kam, wenn es galt, einen im Engpaß steckengebliebenen Wagen mit einigen kräftigen Männerfäusten herauszuziehen. Die Karlsbader Straße, die Hauptader der Stadt, auf welcher der Schwarm der Kurgäste nach Karlsbad jährlich vom Mai bis August und die 4spännige Schwarzenberger Post zweimal täglich fuhr, litt, wie wir in unserer letzten Betrachtung schon mitteilten, an einer so drückenden Enge, daß sie ein Grauen für Rosse- und Wagenlenker war. So blieb einmal zwischen dem Wußingschen und Görlichschen Hause, welch letzteres wir in der vorigen Nummer der „E. H.“ eingehend mit beschrieben, der für die im früheren Gebäude „Himmlisch Heer“ errichtete Brauerei bestimmte Braukessel beim Transport eingeklemmt stecken. Ein andermal mußten die Fenster zur Aula der Neuen Schule, welche auf einem Rollwagen quergeladen waren, an dieser Stelle umgeladen werden. Im Jahre 1892 übernahm vom alten Daniel Hermann Pursch sein Sohn Max das Lokal, der es nun mit seiner Frau ganz im Sinne des Vaters weiterführte und mancherlei Verbesserungen traf. Als das in der vorigen Nummer der „E. H.“ abgebildete Burkert-Lob-Haus fiel und dann das Postamt aufgeführt wurde, da erhielt Max Pursch die Burkertsche Konzession, und aus dem ehemaligen Kaffeeschank wurde ein nettes bürgerliches Restaurant, genannt „Zur Post“. Doch nur wenige Jahre hielt es einen großen Stamm von Gästen vereint. Am 8. März 1906 wurde es vom Buchdruckereibesitzer Friedrich Seidel für 26 000 Mark zum Abbruch angekauft und das Areal zu dem bald darauf hochstrebenden Neubau verwendet. Auch das früher schon – am 29. September 1900 – von Friedrich Seidel für 22 000 Mark erworbene Merkel-Haus an der Marktstraße, gleichfalls ein zweistöckiges Wohngebäude mit hohem Schieferdach, wurde nach erfolgtem Ankauf zu dem Seidelschen Bau eines Zeitungshauses hinzugenommen. Auch dieses Gebäude erblicken wir mit auf dem Bilde zur Linken.

In dem vorgenannten Merkelschen Anwesen betrieb Anton Merkel, der damals in Buchholz Orts- und Friedensrichter war, ein kleines Geschäft mit Kurzwaren aller Art, dessen Ladentür und Fenster wir links der Hausflur deutlich im Bilde erblicken. Auch ein kleiner Handel mit Fischwaren befand sich im Hause, den der als „Fischel-Hunger“ bekannte Schuhmacher Friedrich Hunger ausübte, der im Hinterhaus seine Schuhmacherwerkstatt hatte. In diesem Laden war später auch das Grünwarengeschäft von Franz Fraß einmal untergebracht.

Durch einen Garten getrennt, erhob sich alsdann an derselben Stelle wie heute an der Marktgasse das Hollstein-Haus, welches neben dem großen Geschäftshaus der „O. Z.“ auf dem Titelbild der vorliegenden Ausgabe unserer Heimatblätter zu sehen ist. Die Vorgeschichte dieses Hauses führt uns zurück bis in das Jahr 1852, aus dem wir unseren Lesern in Nr. 17 unserer Heimatblätter von dem großen Brand in Buchholz erzählt haben. Zu dieser Zeit stand an Stelle des Hollstein-Hauses ein Holzfachwerkbau, in dem der Vater des vor Jahren in Buchholz verstorbenen Klempners Melzer (dessen Gattin heute im Langer-Haus an der Marktstraße noch wohnt) eine Fleischerei betrieb. Dieser Fleischermeister Wilhelm Melzer ist auch der Vater der heute im Hunger-Haus gegenüber der Post wohnenden Frau Pfau, die in diesem Hause an der Marktstraße geboren wurde und uns mitteilt, daß das alte Haus ihres Vaters damals mit abgebrannt sei. Nach dem Brand habe der Vater dann das Haus in Stein errichtet, welches aus Parterre und 1. Etage bestand. Das Fleischergeschäft sei in diesem Hause recht gut gegangen. Neben dem Hause, dort, wo im vorigen Jahr der Zwischenneubau der „Obererzgebirgischen Zeitung“ erstanden ist, sei ein schöner Garten mit einigen Beeten gewesen. Direkt neben dem Haus (also dem Eingang zum ehemaligen Kino) sei eine Einfahrt geweseb, welche direkt nach dem Hof und Rasenplatz geführt habe. Der Vater habe auch immer etwas Vieh, wie Schafe und Ziegen gehalten. Oben, wo heute aus dem Giebel noch die Fenster nach der Karlsbader Straße schauen, sei die Getreidekammer gewesen. Der Giebel-Anbau stand seinerzeit noch nicht. Es war alles freier Platz. ein schöner alter Brunnen war im Hof und die Kinder hätten eine recht fröhliche Jugend hier verlebt. Während der Vater – also der alte Fleischermeister Melzer – das Haus, wegen seiner etwas ungünstigen Lager an der steilen Marktstraße, habe verkaufen wollen, sei die Mutter immer sehr gegen den Verkauf gewesen. Anfang der 60er-Jahre habe man schließlich das Haus aber doch für 5000 Mk. an den damaligen Besitzer der „Obererzgebirgischen Zeitung“, Herrn Hollstein, verkauft und in dieses Haus sei dann die Zeitung gekommen. Bevor wir uns mit dem weiteren Ausbau dieses Gebäudes beschäftigen, wollen wir noch das Schicksal des Herrn Fleischermeister Melzer etwas verfolgen. Dieser zog mit seiner Fleischerei an die belebte Karlsbader Straße in den jetzigen Laden vom Schnittwarengeschäft des Herrn Georg Pilz (vordem Georg Oehme). Dieses Haus habe einem Tischler Müller, einem Bruder des Bäckermeisters Müller, gehört und die Fleischerei sei auch in diesem Hause recht gut gegangen. Fleischermeister Melzer habe dieses Haus gern kaufen wollen, aber es sei ihm nicht gelungen. Im Gegenteil, das Haus sei an einen Kaufmann Heinert (bei Bach sel. Sohn) verkauft worden und man habe abermals ausziehen müssen. Nun kaufte Fleischermeister Melzer das Grundstück, auf dem heute das Haus des Herrn Fleischermeister Georg Püschel steht. Dort stand ehemals eine alte Scheune, die Püschel-Scheune, welche Herr Melzer abriß und hier einen Neubau, der später von Herrn Püschel weiter aus- und aufgebaut wurde, errichtete. Bekanntlich hat der Aberglaube in alter Zeit eine große Rolle gespielt und die Frau Pfau erzählt uns, daß damals das Gerede umgegangen sei: Bei der Püschel-Scheune sei es nicht ganz geheuer! Man habe dem alten Fleischermeister Melzer abgeraten, das Grundstück zu kaufen. In der Tat wurde ihm dieser Kauf zum Verhängnis. Als der Neubau fertig war und als ganz kurz vor dem Hebefest Fleischermeister Melzer auf den First des Hauses trat, stürzte er herab, erlitt eine schwere Gehirnerschütterung und starb, ohne die Besinnung wieder erlangt zu haben, kurze Zeit darauf.

Wir wenden uns nun zurück zu dem früheren Melzerschen Haus an der Marktstraße und verfolgen die Entstehung und Entwicklung der „Obererzgebirgischen Zeitung“. Die Wiege der „O. Z.“ stand im ehemaligen Müllerschen, jetzt Albin Siegelschen Hause, an der Karlsbader Straße, dort, wo heute das Grünwarengeschäft von Franz Kunz besteht. Ein alter Buchdrucker Karl Lindner hat hier am 8. September 1854 die „Obererzgebirgische Zeitung“ gegründet und diese am 17. September 1858 an C. G. Ackermann, den Vater der Frau Görlich, über die wir gelegentlich unseres Engpaßartikels in Nr. 18 der Heimatblätter erzählt haben, verkauft. Ackermannj ist am 28. März 1859 im Alter von 69 Jahren infolge eines Gehirnschlagflusses verstorben. Am 10. Februar 1860 hat dann der von Leipzig kommende Buchdrucker Julius Hermann Hollstein, aus Eisenberg i. Th. stammend, das Geschäft von den Ackermannschen Erben käuflich übernommen und in dem Müllerschen Hause weitergeführt. Später zog Hollstein mit der Zeitungsdruckerei nach der Marktstraße in das inzwischen von Melzer gekaufte Haus. Damals hatte man zum Druck der Zeitung noch eine alte hölzerne Presse, neben der ein Farbtisch stand. Auf letzterem wurde die Farbe angerieben und nach jedem Druck mußte die Form, also der Satz, zu der damals noch ganz kleinen 4seitigen Zeitung eingeschwärzt werden. Die Zeitungsherstellung war also eine recht mühsame Sache. Später wurde eine eiserne Handpresse angeschafft. Aber erst die Erfindung der Schnellpresse, von denen sich Hollstein im Jahre 1871 die erste und im Jahre 1884 eine zweite anschaffte, brachte hier eine Besserung. Das Zeitungsunternehmen nahm jedenfalls in den Jahren nach 1870 eine recht rege Entwickelung, sodaß an das alte Haus bald nach der Hofseite ein Anbau nötig wurde, in dem die Setzerei untergebracht wurde. Das Geschäft ging später gegen Ende des Jahres 1888 in Mitbesitz und am 1. Oktober 1892 in Alleinbesitz an den Schwiegersohn des Herrn Hollstein, den aus Falkenstein i. V. stammenden Buchdruckereibesitzer Friedrich Seidel, über, der im Jahre 1885, erst 22 Jahre alt, in Chemnitz sich selbständig gemacht und als Zeitungsfachmann dort verschiedene Lokalblätter gegründet hat (Lokal-Nachrichten für die Umgebung von Chemnitz, den „Zschopautal-Boten“ usw.), die dann später bei Gründung der Chemnitzer „Neuesten Nachrichten“ in dieser aufgingen. Seidel hat das Chemnitzer Geschäft, da es zu aufreibend war, zu gleicher Zeit zwei Betriebe zu führen, verkauft. Die Erben des Nachbesitzers führen dasselbe heute noch unter der Firma Seidel & Naumann in Chemnitz weiter, derselben Firma, bei der seit langen Jahren das amtliche Fernsprechbuch für den Oberpostdirektionsbezirk Chemnitz gedruckt wird.

Nach seinem Eintritt in das Buchholzer Geschäft hat Seidel der „Obererzgebirgischen Zeitung“, die bis dahin ebenso wie alle anderen Lokalblätter in kleinem Format erschien, am 9. Dezember 1888 das noch heute bestehende Format der Großstadtpresse gegeben, die Zeitung immer weiter ausgebaut und damit dem gesamten Zeitungswesen im oberen Erzgebirge einen außergewöhnlichen Ansporn und Aufschwung gegeben. Der Betrieb der „O. Z.“ vergrößerte sich immer mehr. Bald wurde eine Doppelschnellpresse und eine Linotype-Setzmaschine (eine der ersten in Sachsen -, also so mancher großen Stadt vorauseilend) angeschafft, sodaß der auf unserem Bild ersichtliche Souterrainanbau nötig wurde. Der Maschinenpark wurde im alten Haus und Hinterhaus untergebracht, die Setzerei in dem neuen Souterrainbau. Ueber einen kleinen Dachgarten führte der Weg zum Druckerei-Kontor in der ersten Etage, wie das unser Bild zeigt. Die Entwicklung der „O. Z.“ nahm aber einen ungeahnt schnellen Fortschritt und bald zeigte sich das alte Hollsteinhaus mit den Anbauten zu klein. Es galt einen Neubau vorzubereiten, aber auch verschiedene andere Projekte lagen noch vor. Seidel stand mit der Besitzerin des ehemaligen Postgebäudes (Frau Wienbrecht), in dem sich jetzt die Eisenhandlung von Emil Möckel befindet, und auch mit der Besitzerin der Bachschen Villa in Kaufunterhandlungen. Schließlich entschloß er sich aber doch zu einem Neubau. Zu diesem Behufe hatte er ja auch schon im Jahre 1900 das an das Hollsteinsche Grundstück grenzende Anton Merkelsche Haus an der Marktstraße angekauft. Der Bauplan wurde gründlich durchgearbeitet und sollte nun im Jahre 1906 zur Ausführung kommen. Da trat die Stadt durch Herrn Bürgermeister Schmiedel an Seidel heran und sucht ihn zu veranlassen, auch das benachbarte Purschsche Haus noch hinzuzukaufen, das nur durch einen Holzgiebel vom Merkelhaus getrennt war und über dasselbe hinausragte, weshalb es als große Brandgefahr im Zentrum der Stadt angesehen werden mußte. Schweren Herzens, aber im Interesse der Stadt, ließ sich Seidel zu diesem weiteren Kauf, der natürlich die ursprünglichen, schön ausgearbeiteten Baupläne über den Haufen warf, bereitfinden, um, wie es ausdrücklich in dem an Ratsstelle mit den Herren Pursch und Görlich abgeschlossenen Kaufvertrage heißt, für die Stadt günstige und für das Städtebild bessere Verhältnisse zu schaffen. Es waren allerdings zwei teuere Baustellen (rund 50 000 Mark), auf denen nun der Neubau der „Obererzgebirgischen Zeitung“ errichtet werden sollte. Der Kauf war mit großen Sorgen und Opfern verbunden, zu denen sich noch allerlei Schwierigkeiten gesellten, die man dem geplanten Bau in Bezug auf seine Bauweise bereitete, als die beiden genannten Häuser bereits niedergerissen waren und Herr Bürgermeister Schmiedel inzwischen nach Lehe gewählt und dorthin verzogen war. Doch mutig wurde der Kampf mit den Widerständen aufgenommen. Nach hartem Ringen mit den maßgebenden Stellen erstand dann in fast 2jähriger Bauzeit der große Neubau, der als Hauptgeschäftsstelle der „O. Z.“ die Aufmerksamkeit aller Fremden erregt.

Im Jahre 1911 aber machte sich schon wieder ein Erweiterungsbau nötig, da infolge bedeutender Abonnentenzunahme die Doppelschnellpresse nicht mehr genügte und zu einer 8seitigen Rotationsmaschine geschritten werden mußte. Auch zwei weitere Linotype-Setzmaschinen wurden aufgestellt, um den Lesern der „O. Z.“ immer mehr Lesestoff bieten zu können. Gegen Ende des vorigen Jahres wurde der Souterrain-Anbau zwischen dem ehemaligen Hollstein-Haus und dem Seidelschen Neubau um zwei weitere Stockwerke erhöht, um Raum zu schaffen für eine große 16seitige Rotationsmaschine, die die größte im oberen Erzgebirge sein wird und die demnächst in Betrieb genommen werden soll.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 20 – Sonntag, den 16. Mai 1926, S. 1