(Fortsetzung unserer Artikel in Nr. 40, 41 und 42 der „Erzgebirgischen Heimatblätter“.)
Dicht vor der altchemnitzer Vorstadt hat sich das, über eine Stunde lange, schöne Dorf Altchemnitz in einem flachen Bogen gegen Süden zwischen Wiesen und Feldern ausgespannt, auf dessen Sehne die Chaussee hinläuft, bis sich der Chemnitzfluß mit der Würschnitz vereinigt. Eine Menge riesenhafter Spinnfabriken werden, dem Dorfe entlang, von diesem Gewässer in Bewegung gesetzt und die Gewebe auf den Bleichen benetzt. Harthau, welches zwischen Glimmer- und Thonschiefer-Gebirgen mit einer Schaar meist gleichartiger Fabrik-Etablissements ausgefüllt ist, schließt sich bis auf einen kleinen Zwischenraum, wie eine versetzte Eisfahrt, an Altchemnitz an.
Von der Klaffenbacher Höhe aus mag der Wanderer nach der volkreichen Fabrikstadt Chemnitz, das sächsische Manchester, zurückschauen. Ist es in den frühen Morgenstunden, so erblickt er über der Häuserschaar eine lang gezogene rauchgraue Wolke, welche durch dicke Säulen schwarzen Dampfes durchbrochen wird, der sich gespensterartig in der Luft langsam verdichtet. Dieser Qualm entsteigt riesenhaften Rauchfängen der verschiedenen Fabriken. Nur der Thurm der Jacobskirche in seinem weißen Gewand ist, wie ein Leuchtthurm, deutlich sichtbar. Weit ausgedehnte Felder und Wiesen umfließen das Ganze, wie die Meereswellen einen verloschenen Krater, der nur noch Rauchsäulen über sich verbreitet.
In den großen und volkreichen Dörfern, Klaffenbach, Burkersdorf und Neukirchen schnarrwerkt eine Unsumme von Strumpfwürkern und das Rittergut letztern Orts mit seinem Schlosse, aus dem Eilften Jahrhundert, kauert mit seinen Thürmleins, Thoren, Graben und Schießscharten inmitten einer Wiese und lugt schüchtern zwischen hochstämmigen Linden hervor, als ob es sich der Thaten (und Unthaten) seiner ursprünglichen Altvordern schämte.
Von dem Städtchen Thum und seiner Einwohnerschaft, die wenig über 2000 Köpfe zählt, läßt sich nicht viel Interessantes sagen, wenn man nicht etwa den Thumerstein, jetzt Arinit genannt, erwähnen will, welcher in der Nachbarschaft des Städtchens vorkam und von dem berühmten Bergrath Werner bestimmt wurde; wohl aber ist der nahe
Greifenstein
näher zu betrachten und, da er auf einer Stelle zugänglich ist, auch zu besteigen. Die Gestalt und Structur dieser Granitfelsen, sagt D. Naumann im 2. Heft der Erläuterungen zur geognostischen Charte des Königreichs Sachsen pag. 174, – ist so grotesk und abentheuerlich, daß der ehemals unter den Bewohnern der Umgegend vorkommende Glaube, es seien Trümmer eines verwünschten Schlosses, nicht befremden kann. Wie Wollsäcke oder dick ausgestopfte Betten thürmen sich die Granitmassen übereinander in isolirten oder wenig zusammenhängenden phantastischen Pfeilern, welche theilweise eine Art Gehöfte bilden, in welche man nicht leicht hinabklettert, weil überhängende Massen scheinbar herabzustürzen drohen. Dieses Felsen-Wrak ist wahrscheinlich in präadamitischen Zeiten, als glühend flüssige Masse, aus dem Erd-Innern hervorgebrochen und hat die früher erstarrten Schiefer und Gneusschaalen, wovon im Granite selbst eine Menge Fragmente eingehüllt sind, durchbrochen, worauf sie in dicken Polstern allmählig erkaltete.
Von dieser Granitparthie aus ist die Fernsicht nach den Gebirgsknoten, dem Fichtelberg, vorzüglich schön, weil das Auge in den Thälern, welche von ihm auslaufen, ohne Unterbrechung hinaufirrt und ihn in einer größern Höhe beobachtet, als es sonst geschehen kann. Bis dicht an die Wände des Granites ist der Greifenstein mit Schwarzwald umgeben, in welchem sich zur bessern Jahreszeit eine Tabagie befindet, wo Erfrischungen und Sicherheit bei plötzlichen Gewittern zu erlangen ist. Diese dankenswerthe Vorsorge weist zugleich auf den häufigen Besuch dieses Felsens hin. An seiner nordwestlichen Abdachung beschäftigen sich mehrere Steinmetze, die für Bauten sogenannte Werkstücke liefern. Das nachbarliche Bergstädtchen
Geyer,
welches schon im 13. Jahrhundert Bergbau, hauptsächlich auf Zinn trieb, zählt etwa 300 und etliche 40 Wohnhäuser, in welchen gegen 3400 Menschen eingeschachtelt sind, worunter sich viel Posamentiere befinden. Die Wohlfeilheit des Zinns und die zu große Concurrenz in der Arsenik-, Vitriol- und Schwefelbereitung, haben diesem Städtchen seine frühere Wohlhabenheit und Regsamkeit ziemlich weit abgestreift; denn daß diese bedeutend gewesen sein muß, lehren die Pingen, Halden, Pochstätten und Wäschen, insonderheit aber die große Pinge dicht an der Stadt, welche nach Art der Altenberger 1704 dadurch entstand, daß eine große Granitmasse gegen 70 Ellen tief und 600 Schritte im Umfange, in die durch Bergbau abgebauten Räume des Zwitterstocks niederfuhr und die Gegend, wie ein Erdbeben, erschütterte.
Außer der Evanschen großartigen Spinnfabrik bei Geyer, hat man gegenwärtig in diesem Städtchen ein neues Rathaus von grund aus aufgeführt, welches, seiner Größe wegen, für ein rasches Wachsthum einer streitsüchtigen Einwohnerschaft, auf ein Jahrhundert hinaus und dafür berechnet sein mag, dasselbe im Conterfei mit der Enkeltochter der dasigen Glocke, welche beim Stürmen des bekannten Prinzenraubes zersprang, in einem Guckkasten auf Jahrmärkten herumtragen und bewundern zu lassen.
Nur im Vorbeigehen mag das alte Bergstädtchen
Ehrenfriedersdorf
mit seinen 270 Häusern, welche etwa 2300 Menschen bewohnen, wegen seiner ungemeinen großen Menge an einander liegender Bergwerkshalden am Sauberge, Erwähnung finden. Das Städtchen selbst bietet, außer der Königl. Klöppelschule, die in der That als Muster für andere dasteht, nichts Interessantes in seiner hölzernen Ausdehnung dar. Die gedachte Haldenmenge hat etwas ähnliches von einem vielfach durchwühlten felsigen Bette eines in’s Trockne gerathenen Wasserfalles – steril und immer kahl. Das Zinn kommt hier im Sauberge in schmalen Schnürchen nahe bei einander vor, und der Bergmann kann dasselbe nicht anders gewinnen, als daß er immer taubes Gebirge mit absprengt, zu Tage fördert und dann durch Auskutten den Zinnstein absondert. Diese schmalen Zinnmittel, deren der Bergmann immer gleichzeitig mehrere vor Ort hatte, werden dort – Risse – genannt. Das Auskutten nun mußte jene Schaar von Halden in der Art zur Folge haben, wie man sie zur Stunde noch sieht. Die Apatite, Topase und andere interessante Fossilien von Ehrenfriedersdorf sind bekannt, eben so, daß in neuerer Zeit die Chemnitz-Annaberger Chaussee durch das Städtchen gelegt und diesem dadurch eine nützliche Lebendigkeit verliehen worden ist.
Zwischen hier und Annaberg sonnet sich in nachlässiger Behaglichkeit das freundliche Dorf
Schönfeld
bis hinab in die jugendliche Zschopau. In demselben liegt die einladende Villa oder besser „Beatus ille etc.“ des Herrn Regierungsraths Reiche-Eisenstuck. Als dieser in seinem frühern Wirkungskreise dem Obergebirge mehr angehörte, konnte man dieses Rittergut als eine Wohlthätigkeits-Anstalt für eine Schaar guter Freunde betrachten, welche sich von Zeit zu Zeit zusammen fanden, um daselbst ex officio zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein. Selbst ein vornehmer Sträfling hat in neuerer Zeit sein Strafübel hier verlebt ohne ein Liber tristium zu schreiben.
In einem eben nicht umfangreichen Thalkessel, wo die, mit der Sehma bereits vereinigte, Zschopau von der einen und die Pöhla, oder richtiger Biela, von der andern Seite einander die Schwesterhand reichen und vereint nach Wolkenstein hinabfließen, liegt in anmuthvoller Einsamkeit
Wiesenbad
eine Stunde Wegs von Annaberg. Um die Sommermonate wird es häufig besucht und für die Kur auf längere oder kürzere Zeit bewohnt. Der Besitzer dieses Bades, Herr Kaufmann Eisenstuck, hat viel für eine freundlichere Aufnahme der Badegäste und für bequeme Logis gethan und rühmlich dafür gesorgt, daß es nicht an abwechselnden Vergnügungen fehlt. Eine Menge Gänge über hoch emporsteigende, mit Wald bewachsene Felsentrümmer und enge Thalschluchten, schattige Wege an den Ufern des Flusses, der durch bunte Wiesen wandelt, werden gar sehr besucht.
Die Amethistgänge zu Wiesenbad, von schöner hoch violblauer Farbe, sind bekannt, weniger der Granitstock, welcher durch den Straßenbau nach Annaberg aufgeschlossen wurde, mit seinem Stockscheider, der grünen und blauen Flußspath mit kleinen weißen Apatiten führte.
Wir gehen vom Einfall der Pöhla hinauf nach
Geyersdorf.
Am Ende des Dorfes und mithin von der Thalsohle aus, erhebt sich der Pöhlberg (auch Bielaberg, folglich – der weiße Berg) an seiner Nordseite zum kahlen riesenhaften Kegel empor, dessen Oberfläche 2000 Schritte beträgt. Die Grundmasse ist Basalt, mithin schwarz, dennoch wird der Berg „der weiße Berg“ genannt, weil ihn gegen das Frühjahr hin ein weißes Schneeband an der Stirne noch lange umgiebt, was aus der Ferne gesehen, an die Zoll- und Grenzaufsicht erinnert. Es ist Schade, daß eine so große Fläche mit ihren Abhängen noch nicht für Holzcultur benutzt worden ist, da die Sterilität derselben nur eine kümmerliche Viehweide gewähren kann.
Das Titelbild der vorliegenden Heimatblätter zeigt das typische Landschaftsbild, wie es damals zwischen Geyersdorf und dem Pöhlberg zu sehen war.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 43 – Sonntag, den 24. Oktober 1926, S. 1