Von Aag, Scheibenberg.
Sitten und Gebräuche eines Volkes oder eines Teils desselben müssen geschichtlich berechtigt sein, wenn sie Wert und Dauer behalten sollen. – Wo sind aber derartige Unterlagen, aus denen das etwaige Recht der Beibehaltung von Sitte und Brauch für Jetztzeit und Zukunft bewiesen werden kann? Quellen hierfür ruhen in Archiven, Urkundenschränken, in „Laden”.
Bietet nicht z. B. das Allerweltsvolk, die Juden, hierzu ein lebendiges, anschauliches Beweismaterial für seinen Glauben, seine Kleider- und Speiseordnung usw. in seiner „Bundeslade”? Wenn die jetzigen Kulturvölker alle ihre einstigen Nationalheiligtümer noch im Besitze hätten, wieviel leichter fiel manchem der Beweis auf „Recht an der Sonne”.
Aber auch kleinere Kreise eines Volkes können die Berechtigung ihres Daseins, ihrer Bestätigung und ihres Gebarens heute noch beweisen durch ihre „Handwerker-” oder „Innungsladen”. Gar vieles aus den damaligen Niederschriften ist nicht bloß interessant, sondern auch belehrend. Aus der „Lade der Scheibenberger Schneidermeister” geben die dort liegenden „Innungsbücher” z. B. Auskunft über das ehemalige Ausdehnungsgebiet der Meister von der Nadel, über ihre Rechte und Pflichten, Sitten und Gebräuche bei Versammlungen u. drgl. Das älteste Dokument in der Lade stammt vom 4. März 1666 und hat folgenden Wortlaut nach damaliger Fassung und Ausdrucksweise:
„Von Gottes Gnaden Wir Johann Georg der Andere, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve u. Berg, des Heiligen Römischen Reichs Ertzmarschalk und Churfürst, Landgraf in Thüringen, Marggraf zu Meißen, auch Ober- u. Nieder-Laußnitz, Burggraf zu Magdeburg, Graf zu der Margk und Rauensbergk, Herr zu Hauenstein. Vor Uns, Unsere Erben und Nachkommen zun kundt, Nach dem daß unsere liebe getreue, Die sämbtlichen Handwergks-Meister der Schneider, Schuster, Becker, Fleischhauer, Wagner, Hufschmiede, Bötger, Tischler, Schloßer, Seiler, Glaser, Töpfer und Lohgerber im Bergstädtlein Scheibenbergk ihre Einigung aufgerichtet, Und vor dem weiland Durchlauchtigen, Hochgebohrnen Fürsten, Herrz. Johann Georgen dem ersten, Hertzogen und Churfürsten zu Sachßen, Unserem Gnädigen Hochgeehrten Herrn, Vater und Berather, Christseeligen Andenkens, den Neunzehnden Decembris, Anno Ein Tausend Sechshundert und Zwantzig bestätigte Innungs-Articul Vortragen laßen, Mit unterthänigster Biethe, Wir wollen die damals erhaltene Confirmation, Gnädigst ernäuern, und der Gerber Articul auch darein mit Verleiben laßen, Daß Wir dieß suchen (Gesuch) ansehen und angeregte Handwergks-Ordnung, wie dieselbe durch Unsern Schösser zu Schwarzenbergk revitirt und Corrigirt, auch von Unserm verordneten Cantzler und Räthen approbirt wordten, bestätiget haben, welche von Worthen zu Worthen lauten, wie folget:
Gemeine Handwergs-Articul auf alle Handwerger im Bergstädtlein Scheibenbergk:
Zum Ersten, welche aus denen vorbenanden Handwergen zu Viermeistern erkohren und bestetiget werden, Denselben Viermeistern (jetzt Obermstr.) sollen die anderen in allem Ziemblichen und billichen Sachen gehorsamb leisten, auch sollen aus dem Handwergke Vier Beysitzer zu den Viermeistern erkohren werden, mit deroselben Rathe sollen Sie die Sachen, darumb Sie gefordert sein, handeln und wenn daß Jahr verschienen (beendet) ist, so sollen dieselbigen Viermeister alles Einnehmens und Außgebens vollständige Rechnung thun, und sollen die vier Beysitzer wiederumb zu Viermeistern bestethiget werden;
zum Andern sollen die Jährlichen (sich versammeln) zu den Quatembern, durch den Jüngsten Meister zu dem Ober-Viermeister, an einem Sonntag umb eilf Uhr gefordert werden und zusammen gehen, und ein jeder Meister einen halben Groschen in die Laden legen, und wenn es die Nothdurft erfordert, sollen die Viermeistern mit einem Zeichen von einem zu dem andern mit Unterricht und Werbungen, auf den Tag und Stundte bey dem Viermeister zu erscheinen, herumschicken, und welcher darüber ohne erhebliche Uhrsache außenbleibt, der soll dem Handwerge Vier groschen zur Busse geben, und fürderhin, weill (so lange) die Laden offen stehet, vor und ehe die Sache, darüber sie beschickt, abgehandelt und die Lade wieder zugethan wird, soll kein Bier geholet noch getrunken werden, und so iemand nach Beschluß der Sachen zu trinken beliebet, der mag daß wohl thun, doch daß ein einzlicher über Sechs Pfennige nicht vertrinken soll, damit Unvernunft undt Unsinnig Geschrey verbleibet (unterbleibt), so auch ein Meister etwas wieder den andern, daß zuwieder dem Handwerge, zu klagen hätte, der soll es bey Strafe drey groschen, nicht verschweigen.
Vom 3. bis 6. Artikel reichen die Verhaltensregeln bei den Zusammenkünften, deren Uebertretung mit mehreren Groschen gerügt wurden.
Zum siebenten Soll auch hiermit verbothen sein, daß keiner keine Wehr bey sich in den Stuben haben soll; So er inß Handwerg gefordert, soll er alßbald die Bewehr niederlegen, und der Jüngste Meister die Gewehr aufheben; welcher Sich Ungehorsamb halten wird, der soll dem Handwerge drey Groschen in die Laden geben; Würde Sich iemand wiedersätzig machen, So sollen die Viermeister den Stadtknecht holen laßen, denselben in gehorsamb zu setzen; der soll Sich hernach mit dem Rath und Handwerge vertragen, auf daß einer vor dem andern im beysammsein des Handwergs keine gefahr zu gewarthen; Wann auch einer den andern Lügen strafet im Handwerge, der soll ohne alle Weigerunge zur Strafe zweene groschen ins Handwerges Lade einlegen.
Zum Achten, Welcher auch im Bergstädtlein Scheibenbergk Meister werden will, der soll erstlich mit Gunst und Willen des Richters und Raths, darnach durch die Viermeister und Handwerger aufgenohmen werden, und derselbige Meister soll geben dem Rathe am Scheibenbergk Einen halben Gulden, und Zweene näue Meister eine Mußquete (Muskete) mit aller Zugehörunge der Gemeinde aufs Rathhaus am Scheibenbergk, darzu dem Gotteshauße einen halben Gülden, Item (dsgl.) Sechs Gülden in die Lade für die Meisterstücke, dieweill Er der Meisterstücke befreyet ist; So Er aber solch Geldt alles auf einmahl zu geben Unvermögens, so soll es Ihme biß zum nechste Quarthal, von der Zeit an, nachgelaßen werden ….. Und seines Eides Pflicht thun laßen, aber mit dieser Bedingung, daß er obberührten Handwerkern ein Viertel Bier und eine Mahlzeit wie bräuchlich gebe; alßdan soll er zu- und aufgenohmmen werden, und der Jüngste Meister sein, auch was Ihme von Viermeistern befohlen wird, daß soll er bey Strafe fünf groschen ohne einige Wiederrede außrichten.
Zum Neunden, Es soll auch kein Meister keinen Lehrjungen ohne wissen und willen der Viermeister aufzunehmen Macht haben bey Strafe Eines Güldens dem Handwergke; Dann, es sollens Meister und Lehrjunge vierzehn Tage miteinander zu versuchen Macht haben, und wenn es Ihnen beiden gefälligt, so soll der Lehrjunge, ehe er aufgenohmen wird, der Kirchen Zwey Pfund Wachß und dem Handwergk in die Lade einen halben Gülden geben …
Zum Zehenden, So auch ein Lehrjung oder Gesell sein Handwergk recht gelehrnet und außgestanden hätte, und einen Lehrbrief begehret, So soll er dem Handwergksschreiber Sechs großen fürs zu schreiben geben, und dem Handwergke zwölf groschen für daß Siegell, aber ein Meister Sohn soll solches befreyet sein.
Zum Eilften, Wenn auch ein Junger Meister eines Meisters Tochter freyet, oder eines verstorbenen Meisters Weib, der vorhin (vorher) nicht Meister geweßen, der soll dem Handwergke die angezeugte Gebühr, auch dem Rathe halb zu geben und sein Meister-Recht zu entrichten, schuldig sein. Würde auch eines Meisters Sohn, Tochter oder eines verstorbenen Meisters Weib, der vorhin nicht Meister gewesen, sich miteinander verehelichen, so sollen Sie gemelde Gebühr dem Rathe und Handwergk zu geben befreyet sein. So aber eines Meisters Sohn außerhalb des Handwergks sich verehrlicht, so soll er die gemelde (gemeldete) Gebühr zur Hälfte zu geben schuldig sein, doch dem Meister-Essen und Viertel Bier nichts entnohmmen (befreit), so soll auch keines Meisters Sohn, Meister zu werden, gestattet werden, Er habe denn Zwey Jahr nach den Lehrjahren gewandert.
Im 12. Artikel steht die Bestimmung, nach der Steuerreste oder sonstige Zahlungen zu erfolgen haben. Böswilligen Restanten wird durch den Rat die Arbeit verboten (erzwungene Arbeitslosigkeit).
Der dreizehnte Abschnitt regelt das Begräbnis der Meister, das Tragen, event. Weigerung, Buße u. s. f.
Der 14. und letzte Punkt handelt vom Benehmen etwaiger „Störer” (Störenfried) gegenüber dem Handwerk in Stadt und Dorf.”
Nach diesen die obengenannten vereinigten Handwerke betreffenden Grundgesetze folgen die „Spezial-Artikel” der Schneider. Die halten die besonderen Rechte, Pflichten und Gebräuche dieser Handwerkerklasse in 9 Kapiteln vor Augen.
„Zum Ersten, Welcher Meister einen Jungen lehren will, der soll ihm drey Jahre lehren, darum (dafür) soll Er dem Meister Sechs gülden Lehrgeld, ins Churfürstliche Amt Schwartzenberg (dahin Scheibenberg damals gehörte) einen halben Gülden, dem Rathe zum Scheibenberg einen halben Gülden, und dem Handwerge einen halben Gülden in die Lade zu erlegen schuldig sein, und nach Außgang des Jungens Lehrjahre soll kein Meister einen Lehrjungen in Zwey Jahren bey Strafe zweener Gülden in die Lade anzunehmen, Macht haben.
Zum andern, Ein jeglicher Meister soll nicht mehr denn zweene Stöck (Plätze) mit Gesellen oder Jungen in oder außerhalb der Stadt bey Strafe einen Gülden in die Lade zu besetzen macht haben, und der Meister soll seine Gesellen dazu halten, daß Sie alle Arbeit-Tage umb Vier Uhr auf der Werkstatt, und aufen Abend umb Neun Uhr feyerAbend machen, dazu soll ein Gesell Zween Groschen, und ein Junger Schneider Achtzehn Pfennige und ein Lehrjung einen groschen zum Wochenlohn haben …
Zum Dritten, An einem Sontag sollen die Meister ihre Gesellen zu rechter Zeit mit sich zur Kirche nehmen umb Gottes Wort zu hören bey Strafe zehen Groschen, halb dem Gottes Kasten und halb in die Lade; So soll auch ein Jeglicher Meister seinen Gesellen untersagen, da einer vor einem Fest wandern will, da soll (er) es Vier wochen Vor dem Fest thun, oder es soll ihm sonsten nicht gestattet werden.
Zum Vierten, Die zugeschnittene oder gekreidete Arbeit, oder so ein Maß darinnen gefunden wird, die soll kein Meister bey Strafe zehn groschen annehmen; So soll auch kein Meister iemand umb Arbeit bitten oder nachgehen bey obbemelder Strafe (zur Hebung des Standesbewußtseins!).”
Der 5. Absatz verbietet dem Meister sogar das Tragen von Stoff, außer einer halben Elle groß, „bey Strafe zehen Groschen”.
Im 6. wird dem Meister die Kritik an anderer Meisterarbeit bei derselben Strafe untersagt.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 20 – Sonntag, den 13. Mai 1928, S. 2 – 3